Ziviler Ungehorsam als Aufschrei: Müssen wir „Klimakleber“ verachten?

Ach ja, die lieben Klimakleber. Nichts regt einen Deutschen mehr auf, als wenn er in seinem Privat-PKW zusätzlichen Stau hat und nicht vorankommt. Doch einmal ernsthaft: Was soll man von der „letzten Generation“ und den sogenannten Klimaklebern halten? Gibt es rationale Gründe die solch aktivistischen Tätigkeiten rechtfertigen? Hier eine kleine Gegendarstellung zu jenen Kritikern, die sich ständig aufregen und keine größere Reflexion betreiben.

Was radikaler Aktivismus nicht ist

So sehr man mit allegorischen Erzählungen, Metaphern und Vergleichen arbeiten will, so sehr kann dies jedoch auch scheitern. Vor allem, wenn die Vergleiche zu extrem ausfallen und vorne und hinten nicht passen, sprich: hinken. So ist es mehr als vermessen, die aktivistischen Aktionen der „letzten Generation“ als Terrorismus zu bezeichnen oder mit religiösem Glauben zu vergleichen.

 

 

Terrorismus, der ohne Gewalt auskommt, ist kein Terrorismus, ist kein Extremismus. Vergleichbar maximal mit einem Djihadisten, der droht, einer Person öffentlich eine Ohrfeige zu verpassen. Entschuldigt bitte den schlechten Vergleich… Aber schlussendlich ist Terrorismus immer darauf aus Unsicherheit und Schrecken zu verbreiten – das will (und erreicht) die „letzte Generation“ bei weitem nicht… Allein das Ausmaß dieser paar kleinen Aktionen ist so winzig, dass es kaum der Rede wert ist. Wenn das eine Mal tatsächlich ein Mensch ums Leben gekommen ist, weil die Krankenwagen nicht durchgekommen sind, dann ist das tragisch, ja, aber bei weitem kein Terrorismus und nicht beabsichtigt – dass sie daraus gelernt haben sieht man daran, dass sich nunmehr nicht alle ankleben, sondern immer nur ein paar, damit ein Krankenwagen jederzeit durchkommt.

 

 

Auch hinkt der Vergleich mit religiösem Glauben. Man könnte dagegen sagen, es stecke eine politische Ideologie dahinter, doch ist dieses Wort in den letzten Jahren zu Unrecht in Missgunst geraten. Denn eigentlich ist es nichts anderes als eine Weltanschauung, eine ethische Position fast, die einen Missstand sieht und meint, es sei unsere ethische Verantwortung, etwas gegen diesen Missstand zu unternehmen. Religiös ist der Aktivismus der „letzten Generation“ aber bei weitem nicht, denn eine Religion ist durch Glauben gekennzeichnet, vor allem durch einen Glauben, den man weder hinterfragen noch belegen kann. Karl Popper bezeichnete religiöse Fragen als unwissenschaftlich, nicht als irrelevant, aber als nicht falsifizierbar. D.h. man kann einen Glaubensinhalt (wie z.B. „Gott existiert“) nicht widerlegen – somit sind solche Aussagen und Ansichten nicht wissenschaftlich überprüfbar und damit auch stets undiskutierbar. Doch gerade das ist ja der ideologische Inhalt der „letzten Generation“ nicht – schließlich beruht der auf wissenschaftlichen Fakten (der Klimawandel ist im Gange, der Klimawandel wird irgendwann nicht mehr zu stoppen sein, der Klimawandel droht unsere Erde für immer zu verändern und unzählige Menschen das Leben zu kosten). Es sind keine Verschwörungstheoretiker, welche unwahrscheinliche (und schlussendlich wieder unbeweisbare) Dinge glauben, sondern es ist ja mittlerweile sogar Mainstream-Denken, den Klimawandel als bedrohlich anzusehen (eigentlich hat neben den extrem-rechten Parteien jede Partei in Europa zumindest ein paar Antiklimawandel-Maßnahmen in ihren Programmen, weil sie den Klimawandel ja als extreme Gefahr anerkennen; daneben genießt die IPCC mit ihren Klimaberichten ein sehr hohes wissenschaftliches Ansehen).

 

 

Was hinter dem radikalen Aktivismus steckt und was an ihm zu kritisieren ist

Was also macht die „letzte Generation“ eigentlich? Nun, zum einen muss man hier einmal für den ein oder anderen aufklären, woher der Name stammt. Ursprünglich stammt es aus einer Rede von Barack Obama, bei der er darauf hinwies, dass wir (alle) die letzte Generation von Menschen sind, die noch etwas am Klimawandel ändern können, die sozusagen das Ruder noch in der Hand haben, die Kehrtwende noch erreichen können. Dies stimmt aber mittlerweile nicht mehr, denn rückgängig machen können wir den Klimawandel nicht mehr. Neueste Schätzungen gehen davon aus, dass die Erwärmung der Erde um 1,5° Celsius nicht mehr möglich ist zu verhindern und wir auch kurz davor sind, bereits in die Einbahnstraße der 2° Celsius Erwärmung zu fahren. Aber daher kommt eben der Name „letzte Generation“ (und nicht, wie man vermeintlich meinen könnte, dass wir die letzte Generation auf der Erde sind und die Erde danach untergeht). Nichtsdestotrotz ist es bezüglich des Klimawandels tatsächlich fünf vor zwölf und es ist nicht ein wie so oft bloßes rhetorisches Mittel, um künstlichen Druck zu erzeugen, der dann wie der Countdown beim ehemaligen 9live alle fünf Minuten wieder zurückgesetzt wird, und für konstante Anspannung sorgen soll. Die exakten Konsequenzen des Klimawandels sind schwer abzuschätzen, aber rosig sieht die Zukunft damit nicht aus (ich empfehle hier Bill Gates Buch „How to avoid a climate disaster“).

 

 

Was ist also schlussendlich die Motivation der Aktivisten? Schlicht und ergreifend Panik, würde ich vereinfacht sagen. Ja, sie haben Angst. Sie sehen und lesen die Berichte über den Klimawandel und zugleich das, was in der Welt passiert: So gut wie nichts. Die Mühlen der Politik mahlen langsam. Und wenn das Problem nicht vor der Haustür, sondern in der Zukunft oder eher auf anderen Kontinenten liegt, dann ist die Einsicht bei vielen Menschen ebenfalls gering. So sind die Maßnahmen (und Ziele) der Politik (auf der gesamten Welt) mäßig – Grund, die Hände überm Kopf zusammenzuschlagen und existenzielle Ängste zu entwickeln. Wer das nicht einsieht, versteht, oder zumindest nachvollziehen kann, der hat den Klimawandel leider nicht verstanden.

 

 

Aber was tun die Aktivisten? Schändliches, gar ach zu Schändliches? Nun ja, vielleicht. Ihre Aktionen sind nicht darauf gerichtet selbst etwas zu erreichen, da sie ja individuelle Veränderungen (dann lebe ich halt vegan, fliege nicht mehr in den Urlaub, versorge mich selbst, gehe zu Fuß, etc.) nicht als genügend ansehen (Gates würde ihnen recht geben). Als letztes Mittel greifen sie also zu einem Schrei nach Aufmerksamkeit (indem Gemälde beschmiert oder eben Sitzblockaden errichtet werden). Ähnlich wie es PETA (auch nicht ohne Kontroversen) oder Umweltschützer (wie z.B. die Aktivisten gegen das Waldsterben) über die letzten Jahrzehnte machen. Aber natürlich versuchen sie auch, den Staat in gewisser Weise zu „erpressen“, denn sie wollen ja so lange weitermachen, bis sich etwas ändert. Doch ist das falsch? Darf man das nie, unter keinen Umständen?

 

 

Nun ist die Absicht dahinter kaum als moralisch verwerflich zu bezeichnen und die Taten selbst bewegen sich am Rande der Legalität. Natürlich kann man die Tat trotzdem kritisieren. Zwar ist es naiv und rechtspositivistisch zu glauben, dass man jedes noch so große Unrecht in einem Staat mit „rechten“ Mitteln bekämpfen kann und sollte, aber man kann natürlich behaupten, dass die Mittel ihren Zweck verfehlen. Und dass die Mittel nicht angebracht sind. Ich denke, da sind sich viele Menschen einig und auch wenn ich die Ziele und den Aktivismus der „Klimakleber“ unterstütze, so klebe ich mich selbst nicht auf der Straße fest, da ich denke, dass es bessere Wege gibt. Aber vielleicht bin ich ja der Naive? Denn welche Alternativen hat denn ein Einzelner, der die Wahrheit geschaut und nun die Welt vor dem drohenden Untergang bewahren möchte? Ein Passant in einer Dokumentation meinte, die Klimakleber könnten sich vor die Eingangstüren der Politiker kleben. Ja, das ist wohl definitiv zielgerichteter, als auf der Straße, doch scheint dies eine noch schwerere Straftat (die Juristen wissen’s genauer zu betiteln als ich) und auf Dauer wohl nicht machbar – man müsste wohl eher während einer Sitzung den Bundestag umkleben. Alternative: Selbst etwas verändern – was die meisten ja wie gesagt als nicht umsetzbar ansehen. Bleibt: Sich politisch engagieren. Das könnte funktionieren, aber ist auch ein großer Konjunktiv. Es ist jedenfalls das, was ich entschieden habe zu tun, angesichts der kommenden Klimakatastrophe und den bevorstehenden enormen Herausforderungen. Doch nicht jeder kann und will das und auch hier mahlen die Mühlen wieder langsam.

 

 

Fazit

Schlussendlich kann man eben, wie bereits erläutert, den ideologischen Inhalt nicht wirklich kritisieren (wer meint, Panik sei total unangebracht und wir hätten noch massig Zeit und alles sei noch total entspannt, sollte besser Fachliteratur lesen), aber sehr wohl die Methoden. Das denke ich, ist angebracht und die „letzte Generation“ wird wohl auch irgendwann zu anderen Mitteln greifen müssen, wenn sie Herrn Ottonormalverbraucher und Frau Mustermann ebenfalls überzeugen will. Denn es sind hauptsächlich jene, die von den Aktionen „genervt“ und in ihren Augen „terrorisiert“ werden – nicht die Politiker, denen das egal sein kann, die aber am langen Hebel für Veränderung sitzen. Andererseits muss man ihre Aktionen als letzten Hilfeschrei auch nachvollziehen können, denn vielleicht sind wir ja auch nur zu naiv, zu optimistisch oder zu verblendet zu glauben, dass sich alles schon regeln wird oder dass sich politische Aktivität in einer den Klimawandel bekämpfenden Partei sich lohnt…

 

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