Wahlrecht ab 16 Jahren

Die Stimmen werden immer lauter, sowohl in der deutschen, als auch in der luxemburgischen Politik und Presse, die immer öfter ein Wahlrecht ab einem Alter von 16 Jahren fordern. Dass es ein Problem bei der Argumentation in diesem öffentlichen Diskurs gibt und es einen Unterschied macht, warum man wie welche Rechte verteilt, wollte ich an dieser Stelle kurz erläutern.

Um was geht es?

Bleiben wir der Einfachheit halber in Luxemburg. Einige Jugendorganisationen der Parteien sowie Institutionen wie das ZpB fordern, dass Jugendliche bereits ab 16 Jahren das Wahlrecht zugesprochen wird (Aktuelle Sachlage: Sowohl das passive wie aktive Wahlrecht liegt unter der Bedingung, dass man am Wahltag 18 Jahre alt ist). Nun stellt man sich die Frage: Woher kommt diese Forderung? Warum jetzt und warum scheint die Grenze mit 18 Jahren nicht richtig?

Aus meiner persönlichen, sehr subjektiven und oberflächlichen Analyse der Medien gehen folgende Argumente für eine Änderung des Mindestalters für das Wahlrecht hervor:

  1. Jugendliche sind heute politisch gebildeter.
  2. Man sollte demjenigen, der es möchte, nicht das Wahlrecht absprechen und muss gleichzeitig niemanden zwingen, der nicht wählen möchte.
  3. Es ist demokratischer, wenn ein größerer Teil der Bevölkerung mitbestimmen darf.
  4. Jugendliche interessieren sich heute mehr denn je für politisches Geschehen und sind z.B. auch als Minderjährige bereits aktivistisch tätig.

 

Die Unzulänglichkeit der Argumente

Allerdings habe ich mit jedem einzelnen dieser Argumente ein Problem. Sie sind allesamt recht leicht widerlegbar und bieten keine gute Basis, um von einem Wahlrecht ab 16 auszugehen. Hier meine Gegenpositionen:

 

  1. Der Bildungsstand ist in einer Demokratie (leider und/oder Gott sei Dank) irrelevant. Unabhängig davon wie intelligent, gebildet und gewitzt ich bin: Mir stehen deswegen auch als Volljähriger nicht mehr Rechte zu. Das wäre schlicht undemokratisch. Ich weiß natürlich, dass das Argument des Bildungsstandes auf die Mündigkeit hinweisen möchte, welche 16-Jährige u.U. haben. Aber dann ist dieses Argument nicht für die Herabsetzung des Wahlrechtalters, sondern für die Herabsetzung der Volljährigkeit sinnvoll; siehe dazu weiter unten.
  2. Das würde prinzipiell stimmen, würden wir hier nicht von Luxemburg sprechen. Denn hier herrscht die Wahlpflicht. Wer volljährig ist darf nicht nur wählen, er muss es sogar. Hier geht mit dem Recht eine recht große Verpflichtung einher, die nicht unablässig ist. D.h. man kann nicht einfach jemandem die Option geben zu wählen – wenn, dann müssten 16-Jährige gezwungen werden, zu wählen. Sicherlich könnte man argumentieren, dass die Wahlpflicht in Luxemburg auch nur eingeschränkt gilt. So können Ausländer bei den Gemeindewahlen sich eintragen und wieder austragen lassen, und ab 75 Jahren hat man nur noch ein Wahlrecht, keine -pflicht mehr. Einen Grund, warum man mit 75 nicht mehr wählen muss, findet man in den Gesetzestexten nicht, doch ist anzunehmen, dass es sich hier darum handelt, dass man Menschen in hohem Alter nicht „drangsalieren“ will, ihnen also mehr Freiheiten zuspricht, in der Rente selbst zu entscheiden. Es geht hier also nicht um die „Mündigkeit“, die abnimmt, die jedoch als Bedingung für die Wahlpflicht gesehen werden müsste. Alles andere wäre schlicht ungerecht.
  3. Das stimmt, aber wer ist Teil der Demokratie? Wieso dürfen z.B. Gefängnisinsass*innen nicht wählen? Das scheint erst einmal auch sehr undemokratisch. Wieso darf eine ganz knappe Mehrheit über fast die Hälfte der Einwohner*innen entscheiden, d.h. warum dürfen Ausländer*innen bei unseren Parlamentswahlen prinzipiell nicht wählen? Immerhin stammen 47,1 % der Bevölkerung aus dem Ausland, hauptsächlich aus anderen europäischen Mitgliedstaaten (80,8 % der Ausländer*innen stammen aus der EU).[1] Dabei umfassen die 15-19-Jährigen bei den Männern und Frauen jeweils nur knapp 3 % der Bevölkerung.[2] So ganz undemokratisch scheint es also nicht zu sein. Denn man könnte dann auch sagen: Es ist undemokratisch, dass die 12–17-Jährigen nicht wählen dürfen. Auch Kinder sind von den Entscheidungen der Politik betroffen, aber kann man das auch ein Demokratie-Defizit nennen? Wohl kaum. Hier müssen andere Gründe gefunden werden, um zu argumentieren.
  4. Leider ist auch das Interesse selbst ein unzulänglicher Grund, jemandem das Wahlrecht zu gewähren. Denn nur denjenigen das Wahlrecht, nicht die Wahlpflicht, zu gewähren, die Interesse bekunden, scheint sehr unfair und undemokratisch. Warum könnten 16-Jährige es sich „aussuchen“, ob sie wählen oder nicht, und ab 18 müssten sie dann wählen? Wir würden hier der Jugend eine Präferenz zugestehen, die anderen nicht zukommt. Allerdings muss ich auch gestehen, dass man hier durchaus dafür plädieren könnte, da Jugendliche ja noch in einem Reifeprozess sind und diejenigen, die Interesse bekunden, wahrscheinlich auch bessere Entscheidungen treffen, als wenn man alle zwingen würde. Und dennoch: Die Option der Wahl lässt auch mehr Manipulation zu. Wenn man davon ausgeht, dass Jugendliche beeinflussbarer sind als Volljährige (da sie sich nicht nur biologisch, sondern auch sozio-kulturell noch im Wandel, in einem sehr vom Umschwung gezeichneten Lebensalter befinden), dann könnte man sich (auch wenn dies ein gewisses Dammbruch-Argument darstellt), vorstellen, dass man Jugendliche, die nicht von sich aus wählen, dann dazu drängt und manipuliert.


[1] STATEC (2022):  Luxemburg in Zahlen 2022. Luxemburg: Imprimerie Centrale. S. 11 https://luxembourg.public.lu/de/publikationen/statec-le-luxembourg-en-chiffres.html

[2] Ebd. S. 11

 

Die sinnvollere Debatte: Volljährigkeit und/oder Wahltauglichkeit

 

Als deutlich sinnvoller halte ich die Debatte darüber, ob man denn nicht die Volljährigkeit von 18 auf 16 heruntersetzen müsste. Dies aus mehreren Gründen.

 

Das Wahlrecht ist eines der grundlegendsten und wichtigsten Rechte in einem demokratischen Staat, da die positive Freiheit uns ermöglicht, die „Spielregeln“ des Lebens zu bestimmen. Wir bestimmen selbst, wer, wie, welche Freiheiten zugesprochen und welche abgesprochen bekommt. Es scheint in meinen Augen absurd, einem 16-Jährigen dieses wichtige Recht zuzusprechen, aber gleichzeitig die Möglichkeit verwehrt alleine zu leben, Verträge abzuschließen, den Führerschein zu machen, Pornographie zu konsumieren, an Glücksspielen teilzunehmen usw. Gleichzeitig ist er sogar nur nach Jugendrecht haftbar. Dies ist ein unüberwindbares Paradoxon.

 

Insofern könnte man argumentieren, dass heutzutage Jugendliche eben doch reifer sind, als wir sie einschätzen. Man könnte darauf hinweisen, dass früher Kinder bereits mit 12 gearbeitet haben und Jugendliche heute, durch bessere Bildung und tatsächliche biologische frühere Geschlechtsreife, im Alter von 16 Jahren bereits deutlich erwachsener sind.[1] Doch gibt es keinen zwingenden Zusammenhang zwischen Geschlechtsreife, höherer Bildung und mentaler Reife. Denn es ist genau diese Maturität, die wir einem Volljährigen zusprechen, indem wir ihm die vollen bürgerlichen Rechte und Pflichten im Staat erteilen.

 

Sicherlich scheint das Alter von 18 Jahren recht willkürlich und wurde bereits geschichtlich mehrmals heruntergesetzt (in den anglophonen Ländern liegt die Volljährigkeit ja noch meist bei 21 Jahren). Und dennoch muss man irgendwo eine Grenze ziehen.

 

Allerdings halte ich es für falsch, das grundlegendste aller Rechte, das Wahlrecht, nicht an die Volljährigkeit zu knüpfen, denn diese sagt ja genau das aus: Ab diesem Alter ist man zu Handlungen des bürgerlichen Lebens fähig. („La  majorité  est  fixée   à dix-huit  ans  accomplis;  à  cet  âge  on est  capable  de  tous  les actes de la vie civile“)[2]

 

Natürlich ist das Wahlrecht oder das Heiratsrecht nicht zwingend an die Volljährigkeit gebunden. Aber im engeren Sinne ist es durchaus sinnvoll, wenn man die Volljährigkeit auch als die mehr oder weniger biologisch letzte Stufe des „Erwachsenwerdens“ ansieht.

 

Ich selbst habe aber eher die Tendenz, 16-Jährigen noch nicht die Volljährigkeit zuzusprechen, da meine persönliche Erfahrung als Lehrer mit solchen Jugendlichen mir nicht bestätigt, dass sie durchschnittlich mehrheitlich „erwachsen“ wären. Aber dies ist ein subjektiver Eindruck, ich sehe mich momentan nicht in der Lage, die Frage nach der eventuell nach unten zu setzenden Volljährigkeit argumentativ und objektiv zu beantworten.

 

Die letzte Frage, die bleibt, ist die der Wahltauglichkeit. Wann ist eine Person tauglich, wählen zu gehen, bzw. sich wählen zu lassen? Leider ist diese Diskussion meist sehr schnell vorbei, obwohl mich die Frage seit meiner Jugend beschäftigt. Müsste man nicht irgendwelche Eignungstests (vergleichbar zu den Einbürgerungstests in Deutschland) durchführen, damit nicht „Jenni a Menni“ wählen darf? Dass man ein Mindestmaß an Bildung vorweisen kann? Das wäre zum einen irgendwie wünschenswert, zum anderen natürlich eine Katastrophe, da ein solches Instrument natürlich manipuliert werden könnte, um bestimmte Menschen auszusortieren. In einem wahrhaft demokratischen Staat muss ein jedem die gleichen Rechte zukommen und da ist jede Barriere eine Barriere zu viel. D.h. es gibt momentan keine sinnvollen Vorschläge, um die Wahltauglichkeit von Menschen mit sinnvollen Kriterien zu überprüfen, ohne zugleich deren Grundrechte zu verletzen und Manipulation von vorneherein auszuschließen. Damit kann man also auch sogleich ausschließen, 16- oder 17-Jährige auf ihre Wahltauglichkeit hin zu „testen“ und sie dann erst zur Wahl zuzulassen.

 



[1] „Vor ungefähr 140 Jahren, also im Jahr 1860, trat bei den meisten Mädchen in Deutschland die Menarche (erste Regel) im Alter von 16,6 Jahren ein. 1920 lag das Durchschnittsalter schon bei 14,6 Jahren. 1980 bekamen die deutschen Mädchen ungefähr mit 12,5 Jahren ihre erste Periode. Und heute beginnt die Pubertät schon häufig mit dem elften Lebensjahr. [...] Diese kontinuierliche Beschleunigung der sexuellen Reife lässt sich aber auch bei Jungen beobachten. Der Anteil der Jungen, die vor dem zwölften Geburtstag ihren ersten Samenerguss haben, ist innerhalb [des] Zeitraums [zwischen 1980 und 2006] von sieben auf 16 Prozent gestiegen. Auch kommen Jungen heute bereits mit zwölf, 13 Jahren in den Stimmwechsel. Als Johann Sebastian Bach den Thomanerchor leitete, sangen noch 17- und 18-Jährige Sopran.“ – Becker, Eva & Frenkel, Xenia: Die Pubertät beginnt immer früher. Von Eltern.de: https://www.eltern.de/schulkind/jugendliche/pubertaet-frueher.html

[2] Loi du 6 février 1975 relative à la majorité civile, l'autorité parentale, l'administration légale, la tutelle et l'émancipation. Art. 488. Von Legilux: https://legilux.public.lu/eli/etat/leg/loi/1975/02/06/n2/jo

 

Schlussfolgerung

Ich habe anfänglich gezeigt, warum die meisten der in den Medien und der Politik anfallenden Argumente, ein Wahlrecht ab 16 Jahren einzuführen, nicht hinlänglich sind. Zum einen können Bildungstand und Interesse nicht die Basis eines zu vergebenden Rechtes sein, da sie variabel, schwer überprüfbar und auch nicht demokratisch sind. Nur weil jemand mehr Interesse oder mehr Bildung hat, dürfen ihm nicht mehr Rechte (und in Luxemburg ggf. dennoch nicht alle Pflichten) zustehen. Dies stellt auch ein Problem bei der Forderung nach mehr Demokratie dar. Das Argument, dass es undemokratisch sei, eine gewisse Gruppe vom Wählen auszuschließen, trifft auf deutlich mehr andere Gruppen zu, als auf Jugendliche von 16 oder 17 Jahren. Nicht zuletzt müsste man auch definieren, wer denn Teil der aktiven Demokratie ist und ob Jugendliche bereits darunterfallen. Denn nur weil Jugendliche von Gesetzen und der Politik selbst betroffen sind, bedeutet das nicht sogleich, dass sie auch das Recht haben müssen, mitzubestimmen (zumindest ist es keine hinreichende Bedingung), ansonsten müssten nämlich auch Kinder, Schwerstbehinderte und ggf. sogar Tiere wählen dürfen.

 

Zu guter Letzt erscheint es eben undemokratisch in Luxemburg 16-Jährigen das Wahlrecht und nicht die -pflicht zu geben, während es gleichzeitig eine Möglichkeit der Beeinflussung und Manipulation schafft. Bei einer Wahlpflicht muss jeder hin und niemand kann mich „zwingen“, da es so oder so der Staat bereits tut.

 

So bleibt also nur die Frage, ob man dann nicht vielleicht die Volljährigkeit heruntersetzen sollte. Das ist die Frage, ob Jugendliche mit 16 Jahren heute reif genug sind, um alle Rechte und Pflichten (Vertragsfähigkeit, etc.) zu erfüllen. Falls man dies feststellt, so ist es auch offensichtlich, dass die Wahlpflicht ebenfalls ab da beginnen sollte. Meines Erachtens ist es aber nicht sinvoll, die Wahlpflicht, bzw. das Wahlrecht von der Volljährigkeit abzukoppeln, da es das Recht schlechthin in einer Demokratie darstellt. Es wäre für mich persönlich ein Paradoxon bestimmten Personen im Staat das Recht zu wählen zuzugestehen, ihnen aber zu verwehren Verträge abzuschließen, sie nicht vollends als strafbar anzusehen und ihnen nicht zu erlauben, einen Führerschein für PKWs abzuschließen. Ob man tatsächlich die Volljährigkeit auf 16 herunterstufen sollte, weiß ich nicht. Aufrgund meiner subjektiven Erfahrungen wäre ich dagegen.

 

 

 

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P.S. Man sollte auch erwähnen, dass der Bildungsminister Meisch aktuell die Schulpflicht bis 18 beschließen möchte. Somit erscheint die politische Message noch paradoxer: Jugendliche sind nicht fähig, selbst zu entscheiden, wann es sinnvoll ist, die Schule abzubrechen, deshalb zwingen wir sie (wohl bemerkt zu „ihrem eigenen Glück“) bis zur Volljährigkeit in die Schule zu gehen. Aber wir wollen gleichzeitig, diesen scheinbar nicht fähigen und zu Fehleinschätzungen tendierenden Jugendlichen das Wahlrecht zusprechen. Hier liegt offensichtlich ein Widerspruch vor…

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