Urheberrechtsdebatte in der Musik – was man vergisst

 

Zwar ist die EU-Reform schon durch und zum Thema meint man, alles sei gesagt worden, doch denke ich dennoch, dass einige Punkte vergessen wurden. Denn im Streit um Facebook, YouTube, Musik, Urheberrechte, Spotify und Co geht eines leider oft verloren: Der Sinn für die Kunst. Der Sinn für die Musik. Beim Urheberrecht geht es nur am Rande um die Rechte der Urheber und schlussendlich birgt das Ganze echte Gefahren, die jetzt schon zu beobachten sind.

 

 

Ein Tor zu einer neuen Welt riskiert geschlossen zu werden

 

Wenn ich an die ersten Videos denke, die ich als Jugendlicher zur Anfangszeit des Internets gesehen habe, denke ich an winzige Auflösungen, hohe Kompression (die zu Pixel und Kästchenbildung führte), Witz, Unsinn und Musik. Das alles war vor YouTube. Man hat sich die Videos als echte Dateien per Mail geschickt und hatte gleichzeitig vier oder fünf Video-Abspielprogramme auf dem Rechner installiert, um auch alles anschauen zu können (Windows Media Player, Realplayer, Quicktime, Winamp, VLC, usw.). Das war umständlich, aber das Internet war auch freier. So erinnere ich mich spontan an zwei Videos, die mich musikalisch stark geprägt haben.

 

Das erste nannte sich einfach nur „Chop Suey“. Hier haben zwei Teenager karaoke munter drauf los geheadbangt, was das Zeug hielt. Zum gleichnamigen Song der Band System of a Down.

 

Das andere Video war lediglich als „Pentrix“ bekannt und zeigte die akrobatischen Fingerkünste einiger sehr talentierten Kugelschreiberdreher. Das Ganze musikalisch untermalt mit „Dawn of Victory“ von Rhapsody (of Fire).

 

Wieso erzähle ich das? Nun, zu dieser Zeit hatte ich keine Ahnung von Metal. Ich kannte Metallica, aber das war’s. Und anders als heute war es auch nicht so einfach, herauszufinden, welcher Musiktitel denn da in dem Video gespielt wurde. Und wohlgemerkt: Die Songs wurden 1:1 im Hintergrund verwendet. Da hat noch keiner an Urheberrechtsverletzung gedacht – ein harmloses Internetvideo, wen soll das interessieren?

 

Aber die Songs gefielen mir und als ich später auf MTV irgendwann mal System of a Down und „Chop Suey“ hörte, war ich sofort Fan. Das Wiederfinden von „Dawn of Victory“ hat deutlich länger gedauert, denn die waren nicht so Mainstream. Gut 8-9 Jahre später stieß ich beim Suchen nach Power Metal auf den Song und war so froh: Ja, genau die Band hatte ich gesucht!

 

Schlussendlich wurde mir also eine neue Welt gezeigt. Was heutzutage schon ein Argument sein kann, denn die Filterblasen, die durch einen personalisierten YouTube-Feed, die Empfehlungen in Spotify usw. entstehen, sind schwer zu durchbrechen.

 

Das falsche wirtschaftliche Kalkül

 

Verteidiger der Rechte der Musikbranche gehen aber meist von einem ganz simplen hypothetischen Syllogismus aus, der auf Geldschaden abzielt. Wenn Urheberrechte nicht stärker geschützt werden, werden die Rechte missbraucht. Wenn sie missbraucht werden, verlieren die Künstler Geld. Also, wenn die Rechte nicht stärker geschützt werden, leiden die Künstler wirtschaftlich darunter. Allerdings ist die zweite Prämisse stark zu bezweifeln, müsste differenzierter betrachtet werden. Denn nicht jeder so genannte „Missbrauch“ von Musik führt zu wirtschaftlichem Schaden. Ganz im Gegenteil. Es kann sogar so sein, dass es zu Gewinn führt!

 

Man bedenke meine eigenen Schilderungen über die Musik, die ich durch Videos kennengelernt habe, die Songs urheberrechtlich illegal verwendet haben. Was war im Endeffekt das Resultat dieser Urheberrechtsverletzung? Nur Positives! Jeder hat davon profitiert:

 

  1. Die Ersteller des Videos konnten coole Musik nehmen und ihre Videos freien Herzens mit der Musik untermalen, die für sie am besten passte (im Falle von „Chop Suey“ basiert das Video sogar rein auf dem Song und wäre ohne nicht möglich).
  2. Die Rezipienten (wie ich) konnten neue Musik kennenlernen, die sie ansonsten vielleicht nie gehört hätten.
  3. Die Plattform, auf der die Videos hochgeladen werden (heutzutage), profitiert durch einen höheren Bekanntheitsgrad.
  4. Die Interpreten selbst profitierten am meisten davon. Denn schließlich habe ich (zwar reichlich später) Alben dieser Bands gekauft. Hätte ich „Dawn of Victory“ nicht im Video gehört, hätte ich die Band vermutlich nie kennengelernt – schließlich habe ich bewusst danach im Internet gesucht.

 

Natürlich ist die Seite der Künstler ebenfalls zu verstehen, die nicht wollen, dass ihr Werk unrechtmäßig benutzt wird. Aber verlieren die Künstler wirklich Geld, wenn ihre Musik irgendwo im Hintergrund läuft? Wurde der Song „Happy“ von Pharrell Williams nicht gerade dadurch bekannt, dass jeder zweite in den sozialen Medien ein Tanzvideo mitsamt der eigentlich urheberrechtlich geschützten Original-Version des Songs veröffentlichte? Das hat doch gerade zur Popularität des Songs beigetragen und Williams in die Charts nach oben katapultiert.

 

Anderes Beispiel gefällig? Wie wäre es mit Videospielen, die gestreamt werden? Ich rede hierbei von Spielern, die über Netzwerke wie Twitch im Livestream zeigen, wie sie ein bestimmtes Spiel zocken. Es gibt dabei ein Problem: Viele Spiele verwenden lizenzrechtlich geschützte Soundtracks, die automatisiert erkannt werden (z.B. Grand Theft Auto, Forza Horizon, Tony Hawk usw.). Das Streamen der Spiele wird ausdrücklich von den Entwicklern erwünscht – die Spiele bekommen Popularität und werden dadurch mehr gespielt/gekauft.

 

Aber sobald die falsche Musik ertönt, ist der Clip lautlos oder wird entfernt. Auch hier würden die Interpreten (vor allem die weniger bekannten) eher davon profitieren, als dass ihnen geschadet würde. Welche Angst hegt man denn hier? Wenn kräftige Motoren brummen, Skateboardgeräusche zu hören sind, dann spielt die Musik nur unterbewusst eine Rolle.

 

Nur zu gern erinnere ich mich an den Soundtrack der ersten Tony-Hawk‘s-Pro-Skater-Games. Der war so ikonisch und hat Herzen höherschlagen lassen. Leider werden viele Songs so nicht mehr zu hören sein, da sie urheberrechtlich geschützt sind. Den Künstlern entgeht hier ein junges Publikum, das ihre Musik noch gar nicht kennt und dadurch niemals kennenlernen wird. Worin liegt der Unterschied, wenn ein Spiel die Songs enthält, das aber ein Problem ist, sobald es gestreamt wird? Einem größeren Publikum wird die Musik untersagt. Warum? Aus Prinzip? Da entsteht doch kein wirtschaftlicher Schaden bei? Es ist eher Geld, das verloren geht, da dadurch viele Menschen die Musik nicht kennenlernen werden.

 

Einschränkung der Freiheit und Missbrauch

 

Letztlich habe ich noch zwei weitere Argumente, die ein wenig aufeinander aufbauen. Das wäre die Einschränkung, der persönlichen Freiheit. Denn erstelle ich selbst ein ganz banales, privates Video, in dem mich z.B. einfach nur dabei filme, wie ich am Küchentisch sitze und mit meinem Nachbarn diskutiere, dabei aber das Radio im Hintergrund läuft und man entfernt vielleicht irgendeinen Song auf SWR3 hört (während gleichzeitig der Moderator noch über den Song labert), ist das Video schon illegal. Algorithmen erkennen den Track, stellen entweder das Video auf Stumm, oder aber löschen es gleich, drohen mit einer Account-Sperre und ggf. folgen weitere Probleme.

 

Wegen eines Songs im Hintergrund aus dem Radio? Sind wir da nicht jenseits von Gut und Böse, jenseits aller böswilligen Absicht und jenseits irgendwelchen wirtschaftlichen Schadens, den ein Künstler davontragen würde, würde das Video nicht gelöscht? Das ist eine enorme Einschränkung der Freiheit. Kein kurze 20-Sekunden-Aufnahmen von Festivals sind mehr möglich, kein kurzer Vlog eines Trips durch die Innenstadt, wenn auch nur irgendwo ein Song aus dem Lautsprecher eines Restaurants im Vorbeigehen läuft. Das ist absurd.

 

Und, um zum finalen Argument zu kommen, diese automatisch geregelte Blockierung von urheberrechtlich geschütztem Material, kann missbraucht werden und wird bereits missbraucht! So gibt es erste Beweisvideos, die es nur schwerlich ins Internet geschafft haben, die zeigen, dass einige US-Polizisten die Upload-Filter bereits ausnutzen, um nicht gefilmt zu werden. Sie spielen bei Unterredungen Songs ab, damit die Videos nicht gepostet werden können, bzw. mindestens auf stumm geschaltet werden. Spinnt man das weiter, muss man sich schnell gruseln. Man könnte sich vorstellen, dass extreme Gewalt (unabhängig welche) zukünftig einfach mit auf hoher Lautstärke aufgedrehten Songs untermalt wird, damit Videos davon nicht so leicht veröffentlicht werden können. Wenn das keine Zensur sein soll, weiß ich auch nicht.

 

Fazit

 

Schlussendlich denke ich, dass die Urheberrechtsdebatte auch mit dem Inkrafttreten der EU-Reform nicht vorbei sein darf. Denn die Filterblasen, die immer größer werden, die wirtschaftlichen Schäden die kleinere Interpreten davontragen könnten (schließlich werden nur die großen Plattformen weiter verdienen), die Einschränkungen der privaten Freiheit und der schlussendlich krasse Missbrauch, der dadurch möglich ist, sollten einem zu denken geben. Es wäre gut, wenn es in dieser Debatte auch wieder um die Kunst und nicht um das Geld gehen würde – dann sähe man die Absurdität des Ganzen auch schneller ein.

 

 

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