Waffengewalt mit Waffen bekämpfen?

Orlando, IS-Terror, Amokläufe, immer wieder werden durch negative Schlagzeilen die Diskussionen rund um Schusswaffen, Waffengesetze, Waffenerlaubnis und Gewaltmonopol Staat angestoßen. Diskutieren ist gut, infrage stellen immer! Doch scheint der Diskussionsbedarf so langsam an ein Ende gestoßen zu sein, habe ich das Gefühl. Die Fronten verhärten sich: Die Waffenlobbyisten und Waffenfans sind nicht zur Diskussion oder zu Abstrichen ihrer Freiheit bereit und die Waffengegner fordern immer stärkere Regulierungen und verdammen Personen, die anderer Meinung sind (nach dem Motto: Waffenfreund = Menschenfresser). Doch kann man Statistik gegen Statistik abwägen? Kann man nicht vielleicht auch prinzipienethisch für eine Seite argumentieren? Ich will kurz darlegen, warum ich (Schuss-) Waffenbesitz definitiv nicht als Grundrecht eines jeden Zivilbürgers ansehe und warum Waffen nichts in einer friedlichen Gesellschaft verloren haben. Wer jetzt schon empört und angewidert vor dieser These zurückschreckt und es als naiven Humanismus ansieht, dass es überhaupt Frieden geben kann, der braucht gar nicht weiterzulesen, denn der hat seine Meinung schon so stur festgefahren, dass er selbst eine transzendente Einsicht für nicht diskussionsnötig halten würde.

Das Ziel?

 

Bevor wir uns die Frage stellen, wie wir etwas erreichen wollen, müssen wir uns bewusst sein, was wir überhaupt wollen. In den Diskussionen rund um Waffen geht es offensichtlich um eine Gesellschaftseigenschaft, die gesucht wird. Zwar sagen Waffenbefürworter, es gehe ihnen darum, die Freiheit des Individuums (Waffen zu tragen z.B.) zu erhalten, allerdings ist das Gegenteil nicht unbedingt der Fall; sprich: Waffengegner wollen nicht die Freiheit des Individuums einschränken. Bzw. ist das höchstens eine gewisse Folge, aber nicht das Primärziel. Das Ziel, das angestrebt wird, ist eine friedliche Gesellschaft. Dies ist (erstaunlicherweise, mag man sagen) meist auch das Ziel der Waffenbefürworter. Jedenfalls wird nach einem Amoklauf oder einem terroristischen Angriff oft auf diese Weise argumentiert: Hätten die Opfer (oder ein Teil der Opfer) Waffen gehabt, um den oder die Angreifer zu erschießen, so wäre es nicht so dramatisch ausgegangen. Oder: Der Angreifer, im Bewusstsein, dass seine potentiellen Opfer Waffen haben und ihn erschießen könnten, wäre gar nicht zur Tat geschritten. In beiden Fällen reden wir von einem friedlicheren Ausgang.

 

D.h. soweit sollten wir uns einig sein: Das angestrebte Ziel aller ist ein friedlicheres Zusammenleben.  Es gibt natürlich auch andere Ziele. Waffenbefürworter können auch eine größere individuelle Freiheit (Liberalismus) als Ziel haben – der Frieden muss hierfür nicht relevant sein. Allerdings ist auch das Ziel, die „durch den Staat nicht mehr garantierte und verfehlte“ Gerechtigkeit wiederherzustellen, also die Selbstjustiz, ein Zwischenziel, das schlussendlich ja auf Frieden abzielt. Frieden mittels kurzweiliger Anarchie und Krieg. Aber Frieden. Bleibt die Frage, was das bedeutet. Und hier gehen die Meinungen bereits auseinander. Waffenbefürworter nehmen als Frieden eine Grundgewalt und Todesopfer durch (Schuss-) Waffen in Kauf, während die Gegner meist einen pazifistischeren Weg einschlagen, in dem Frieden nur gilt, wenn es eine möglichst kleine Zahl an Schusswaffenopfer gibt.

 

Klar scheint aber zu sein, dass ein „höherer“ oder „besserer“ Frieden trotzdem immer an die Anzahl der Toten einer Gesellschaft gekoppelt ist. Denn kaum einer wird argumentieren wollen, dass es eine friedliche Gesellschaft gibt, in der es häufig Tode (seien es Morde, vorsätzliche Tötungen, Unfälle etc) gibt. Schon gar nicht Tode, die durch ein Tötungswerkzeug „Schusswaffe“ (welches rein zur Tötung von Menschen dient) entstanden sind. Wenn in einer Gesellschaft viele Menschen durch Waffen sterben (und das regelmäßig und unabhängig von der Natur des Tötenden sowie des Motivs), wird auch der NRA-Lobbyist nicht von einer friedlichen Situation sprechen.

 

Dies ist also in meiner Argumentation die erste Prämisse (1): Wenn in einer Gesellschaft viele Menschen regelmäßig durch Schusswaffen sterben, ist das nicht als Frieden oder als friedvoller gesellschaftlicher Zustand zu bezeichnen. (A → ¬B)

 

Hauptfragen

 

Die zwei Fragen, die ich mir stelle: Erstens. Ist Waffenbesitz „für jedermann“, wie aktuell in den Vereinigten Staaten von Amerika, tatsächlich friedensförderlich? Zweitens. Warum sollte man als Zivilist das Recht haben, Waffen zu tragen („the right to bear arms“), bzw. warum nicht?

 

Ich will keinen großen Statistik- und „Fakten“-Krieg anfangen. Ich möchte nicht diese oder jene Studien gegen die andere aufwiegen. Die Thematik ist sehr, sehr komplex, weswegen potentielle NRA-gesponsorte Studien gegen potentiell politisch beeinflusste Statistiken schwer als solche zu entlarven sind. Auch fällt es meist schwer, die Aussagekraft einer Statistik zu bewerten. Denn was genau sagt es z.B. aus, dass in Australien seit Einführung sehr strikter Waffengesetze 1996 die Morde durch Schusswaffen um 50 Prozent zurückgegangen sind? Vielleicht sind Australier von vorneherein weniger anfällig für illegale Waffen, weil sie als Insel sehr abgegrenzt sind. Vielleicht sind deswegen andere kriminelle Tätigkeiten nach oben gestiegen? Vielleicht wurde gleichzeitig die Polizei unglaublich verstärkt und es liegt daran? Es ist schwierig, hundertprozentig sicher aus der Statistik herauszulesen, dass das Waffenverbot in direkter Korrelation zu nicht vorhandenen Morden steht. Genauso schwierig ist es zu zeigen, dass es nicht der Fall ist. Und genauso schwierig ist mit einer Statistik zu beweisen, dass Waffen zur Sicherheit in einer Gesellschaft beitragen.

 

Ich möchte deswegen lediglich eine einzige Studie nennen, die ich relativ aussagekräftig finde. Das „American Jorunal of Medicine“ veröffentlichte 2013 eine Studie der New York University School of Medicine, die eine direkte Korrelation zwischen (legalem) Waffenbesitz und Tode durch Schusswaffen feststellt (DOI: https://doi.org/10.1016/j.amjmed.2013.04.012). Zwar gibt es keine Korrelation bei Waffenbesitz und erhöhter Kriminalitätsrate, doch könnte man dies ggf. auf mannigfaltige Art und Weise erklären (z.B., dass die Gesetze in waffenbesitzreicheren Ländern anders sind, dass dafür die Polizei stärker durchgreift etc.). Dies ändert aber nichts daran, dass bei einem Waffenverbot definitiv die Tode durch Waffen weniger werden. D.h. das Argument, welches besagt, dass es immer genügend illegale Waffen gibt und man in einem Land mit strikten Waffengesetzen die gleiche Gefahr, durch Schusswaffen getötet zu werden, eingeht, wie in einem Land, in welchem deutlich mehr Menschen Waffen besitzen, ist somit debunkt. Bestes Beispiel wäre Japan, welches eine berühmtberüchtigte Mafia mit Zugang zu illegalen Waffen hat, und das Land trotz dessen nur auf 0,6 Waffen pro 100 Einwohner und 0,06 (!) Schusswaffentode per 100‘000 Tode kommt (im Vergleich: die USA haben 88,8 Waffen pro 100 Einwohner und 10,2 Schusswaffentode pro 100‘000 Toden).

 

Die zweite Prämisse lautet also: Wenn in einer Gesellschaft mehr Menschen Waffen besitzen, dann führt das dazu, dass in dieser Gesellschaft mehr Menschen durch Schusswaffen sterben. (C → A)

 

Das heißt, meine erste Frage sollte soweit geklärt sein: Ist Waffenbesitz „für jedermann“, wie aktuell in den Vereinigten Staaten von Amerika, tatsächlich friedensförderlich? Nein, wie man deutlich sehen kann. Denn Schusswaffentode sind einfach zu vermeidende Tode, indem man die Schusswaffen pro Einwohner reduziert (z.B. durch strikte Waffengesetze). Eine Gesellschaft, in denen eine hohe Anzahl an per Schusswaffen getötete Menschen hingenommen werden, kann nicht als friedlich bezeichnet werden (nach dem Spitzenreiter der Schusswaffentode USA kommt Südafrika, welches ebenfalls nicht als friedliches Land bekannt ist).

 

Meine Konklusion (hypothetischer Syllogismus): Wenn eine Gesellschaft mehr Waffen besitzt, dann handelt es sich nicht um eine friedliche Gesellschaft. (C → A; A → ¬B Ⱶ C→ ¬B)

 

Bleibt die Frage, ob man nicht trotzdem für den Waffenbesitz von Zivilisten argumentieren kann. Beispiel Schweiz: Ehemals Wehrpflichtige dürfen ihre Waffen nach dem Wehrdienst behalten (dadurch erklärt sich die relativ hohe Zahl von 45,7 Waffen pro 100 Einwohner), allerdings aus einem einfachen Grund. Die Schweiz hat dadurch eine Zivilistenarmee. D.h. alle Wehrpflichtige sind Reservisten, die im Falle des Falles das Land und den Staat verteidigen. Das Gewaltmonopol ist und bleibt hier aber beim Staat, auch wenn es so vielleicht nicht direkt erscheint (Reservisten kämpfen für den Staat, nicht zur Verteidigung ihrer selbst).

 

Was ist der Grund in den USA? Es steht in ihrer Verfassung.[1] Doch scheint diese relativ alt.[2] Warum es immer noch gilt, scheint eine Kulturfrage zu sein und es ist fragwürdig, ob man diese für sinnvoll hält. Denn ja: Auch eine Kultur oder eine Sitte darf hinterfragt werden. Im Prinzip aber nur von den Betroffenen selbst, denn ich maße mir nicht an, jemand anderem etwas vorzuschreiben, womit ich nichts zu tun habe. Das Problem der Waffengesetze ist allerdings, dass es durch unsere globalisierte Welt nicht mehr ein reines, lokales Problem ist, sondern auch schnell zu einem internationalen Thema wird. Gesetzesänderungen in Amerika können zu Änderungen in Europa führen (aber auch umgekehrt!).

 

Ein Grund, der manchmal angegeben wird, warum man in den USA Waffen tragen dürfen sollte, ist der, dass bestimmte Farmen oder Häuser sehr isoliert sind, das nächste County viel zu lange braucht, um eingreifen zu können, und somit die „Verteidigung“ des eigenen Lebens und Hab und Guts mittels Waffen gerechtfertigt ist. Dies ist allerdings fraglich, denn in Europa gibt es ähnlich isolierte Wohngemeinschaften, Dörfer oder Häuser, und auch jene kommen sehr gut ohne Waffen aus. Falls es zu mehr kriminellen Aktivitäten in Amerika kommt, sollte man hier nachhaken und fragen: Warum muss der amerikanische Farmer Angst um sein Leben haben, der europäische aber nicht? Die Wurzel des Problems liegt eben in dieser Frage und kann in einer entwickelten, zivilisierten Gesellschaft nicht dadurch beantwortet werden, indem man dem Farmer eine Waffe in die Hand drückt. Das erscheint zu kursichtig.

 

Ein anderes Argument – und das ist wohl das stärkste und am tiefsten emotional greifende für die Waffenbefürworter – ist das Argument gegen eine „naive“ Weltsicht und für eine Art Vergeltungs- und Racheprinzip. Die „heile, heile Welt“ der Waffengegner sei ein Wunschtraum und der Einzelne möchte viel lieber sich selbst verteidigen können als auf die Polizei oder den Staat zu „hoffen“.

 

Analyse

 

Es mag wohl stimmen, dass ich, mit einer Schusswaffe ausgerüstet, bei einem kriminellen Überfall[3] selbst mitbestimmen kann. Ich kann die Waffe zücken, drohen, schießen. Ggf. schaffe ich es sogar, meinen Angreifer aufzuhalten. Allerdings ergeben sich in meinen Augen viel zu viele negativen Folgen aus der Tatsache, dass, wie es die Waffenbefürworter ausdrücken, sowohl die „Guten“ als auch die „Bösen“ Waffen besitzen.

 

Erstens: Es läuft zuallererst einmal darauf hinaus, wer zuerst schießt. Da mein Angreifer davon ausgehen muss, dass ich eine Waffe habe, ist es besser als Erster zu schießen – das eigene Leben steht ja auf dem Spiel. Und so wird vielleicht nicht nur der Angreifer zum Gewalttäter, sondern sogar ich selbst. Wie viele Fälle kennt man aus den USA, wo jemand aus „Verteidigung heraus“ jemand Unschuldigen erschossen hat, weil er dachte, derjenige greife ihn an, habe nach seiner Waffe gegriffen oder dergleichen. Das ist nicht nur gruselig, sondern bringt mich selbst auch jederzeit in Gefahr, durch eine falsche Bewegung erschossen zu werden. Das ist der Grund, warum die Polizei in Amerika so harte Regeln hat, auch z.B. bei einer reinen Verkehrskontrolle. „Beide Hände ans Lenkrad! Fenster erst runtermachen, wenn ich es sage!“ Man wird schon wie ein Krimineller behandelt, weil man davon ausgehen muss, dass man eine Waffe bei sich führt. Da ist es doch weitaus entspannter, in Europa Polizist oder Fahrer zu sein…

 

Zweitens: Eine solche Situation wird zum Wettrüsten. Sicher ist, dass die Kriminalitätsrate in waffenreichen wie in waffenärmeren Ländern mehr oder weniger gleich ist (d.h. dass es nicht „friedlicher“ in Ländern ist, die lockere Waffengesetze haben). Und dann mag es schön und gut sein, eine Waffe zu besitzen, um sich „im Zweifel“ gegen einen Kriminellen verteidigen zu können. Allerdings weiß der Kriminelle ja auch, dass ich bewaffnet bin und rüstet dementsprechend auf. Während man in Europa einen Überfall mit einer Schreckpistole machen kann, reicht dies in den USA nicht aus. Überfälle gibt es so oder so: Aber welche nehmen denn ein friedvolleres, unblutigeres Ende?

 

Drittens: Die „persönliche Verteidigung“ mit Todeswerkzeug ist eine Form von Auge-um-Auge-Selbstjustiz. In meinen Augen scheint das gegen den (zumindest in Europa vorherrschenden) gegenwärtigen Konsens zu sprechen, nach welchem der Staat nach Schuldfähigkeit und Strafe entscheidet. Wer sich selbst bewaffnet, um potentiell auf Menschen zu schießen, entnimmt dem Staat die Verantwortung und die Entscheidung, die ihm zusteht, über diesen Menschen zu urteilen. Weiterhin deutet es zumeist auf ein Prinzip „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ hin, wenn man einen potentiellen Angreifer erschießen möchte. Wie du mir, so ich dir. Allerdings widerspricht auch dies sowohl dem gegenwärtigen Konsens als auch der aktuellen Rechtslage. Auch haben wir in Europa keine Todesstrafe mehr, somit ist das Prinzip „Auge um Auge“ bei einem Mord z.B. sowieso nie möglich. Wer insofern die aktuelle Gesetzeslage diesbezüglich in Ordnung findet, kann nicht gleichzeitig Waffenbefürworter sein.[4] Wer die Gesetzeslage aktuell zwar mehr oder weniger als gut befindet, aber gleichzeitig meint, dass der Staat eben seiner Aufgabe nicht nachkommt, der ist trotzdem nicht zu Selbstjustiz berechtigt. Zuerst muss er versuchen, das System zu verbessern und das Versäumnis des Staates politisch zu verändern!

 

Viertens: Selbstjustiz führt zwangsläufig früher oder später zu Anarchie und zu einer Art Naturzustand einer Gesellschaft (siehe Thomas Hobbes‘ Leviathan), in der wieder jeder um sein Leben fürchten muss. Hobbes Theorie passt hier: Die Todesangst untereinander und voreinander kann eine Gesellschaft unglaublich lähmen. Die Menschen sind im Naturzustand alle gleich (sie streben nach den gleichen Dingen und sie sind alle gleichermaßen davon bedroht, getötet zu werden; – der Schwächste kann den Stärksten durch eine Kugel töten), entsteht eine wechselseitige Konkurrenz aller Individuen untereinander. Auf der Basis der natürlichen Wertungsgrundlage entsteht, wenn die egoistischen Interessen mit den direktesten Mitteln verfolgt werden, eine generelle Konfliktsituation: der Krieg aller gegen alle (bellum omnia contra omnes). Das Ziel und die Absicht der Staatsgründung besteht darin, „ein zufriedeneres Leben zu führen – das heißt, dem elenden Kriegszustand zu entkommen“.

 

Mit dem Bewusstsein, dass der Staat das Gewaltmonopol hat und dieses stark von ihm ausgeführt wird, lebt sich deutlich entspannter und ruhiger. Denn als Bürger eines Staates sind alle gleich schwach gegenüber der übermächtigen Staatsmacht (sollten es zumindest sein). Die „Angst aller vor allen“ hat der „Furcht aller vor dem Staat“ Platz gemacht. In Gebieten, in denen Waffen frei kursieren, ist es deutlich unsicherer und nicht im Interesse aller. Da braucht man sich nur einige Pariser Banlieus anzusehen. Dass der Staat hier versagt hat: Sehr wohl. Dass der Staat öfter mal versagt hat: Sicherlich. Aufgrund dessen heißt das aber noch lange nicht, dass das ganze System schlecht sei. Maßnahmen, die es hier zu ergreifen gäbe, wären z.B. mehr Polizisten einstellen, für bessere Ausbildungen sorgen, eine stärkere Bewaffnung der Polizisten einführen, usw.. Aber Anarchie (der Naturzustand) ist keine Lösung – sie funktioniert nicht friedfertig (wie Hobbes bereits zeigte).

 

Fünftens: Dass ein strengeres Waffengesetz die persönliche Freiheit weiter einschränkt, ist offensichtlich. Aber Freiheitseinschränkungen gegen unseren individuellen Willen zugunsten der Gesellschaft nehmen wir andauernd und zwangsweise hin – Leben in einer Gesellschaft ist immer mit einer Einschränkung meiner persönlichen, „natürlichen“ Freiheit verbunden. Es bleibt die Frage der Abwägung von persönlicher Freiheit und Eingriff in die Freiheit (und somit Recht auf Leben) eines anderen. Ich möchte vielleicht gerne mit 200 km/h über die Landstraße brettern. Aber ich nehme die Freiheitseinschränkung durch die Geschwindigkeitsbeschränkung hin. Und es sollte auch für jeden rational nachvollziehbar sein: Das Risiko ist zu groß, dass etwas passiert. Hier sind sich alle einig, auch wenn man sicherlich ab und an 200 fahren könnte, ohne dass sofort ein Unfall passiert. Aber auf lange Sicht ist die Freiheitseinschränkung hier aufgrund der Sicherheit der Gesellschaft notwendig und vernünftig. Nicht zuletzt ist die Gründung eines Staates per se eine Freiheitseinschränkung – Gesetze haben prinzipiell die Funktion, die Rechte von Menschen einzuschränken um anderen Recht zu gewähren.

 

Fazit

 

Die Frage rund um Waffengesetze und das Recht, Waffen zu tragen, scheint eine grundsätzliche zu sein. Welche Grundeinstellung habe ich: Selbstjustiz (und damit „Auge um Auge“) oder Staatsgewalt? Waffenbefürworter sind von dem eigenen moralischen Kodex überzeugt und entscheiden gerne selbst, wer lebt und wer nicht. Eine anarchische Welt mag durchaus möglich, aber nicht unbedingt lebenswert sein. Denn der Rückverfall in einen Hobbes ähnlichen Naturzustand, in dem jeder um sein Leben bangen muss, wirkt nicht sonderlich attraktiv. Der Staat muss das Gewaltmonopol haben, damit sich die Bürger untereinander zumindest in gewisser Weise sicherer fühlen können (und es auch sind). Außerdem maßt man sich selbst somit nicht an, über Tod oder Leben zu entscheiden, sondern überlässt dies den nötigen Instanzen. Es ist erwiesen, dass Waffenbesitz und Waffentode korrelieren und es ist nicht erwiesen, dass die Kriminalität durch Waffenbesitz fällt. Eine bewaffnete Gesellschaft wird nicht zu weniger Amokläufen, Terrorangriffen oder Schießereien führen – sie wird aber zweifelsohne zu mehr Todesopfer durch Waffen führen.

 



[1] Lediglich in drei Ländern der Welt ist das Recht, Waffen zu tragen (im Gegensatz zum Waffenbesitz) noch in der Verfassung. Guatemala, Mexiko und die USA und nur in den USA enthält das Gesetz keine expliziten, restriktiven Bedingungen.

[2] Auch in andern Ländern gab es ähnliche Gesetze. Studenten durften in Deutschland noch sehr lange zum persönlichen Schutz Waffen (Säbel, bzw. Schläger) tragen. Doch dies ist überlebt: Heute muss kein Student mehr auf dem Weg zur Uni um sein Leben fürchten.

[3] Überfälle, die es immer geben wird. Es gibt in einer freien Gesellschaft niemals komplette Sicherheit. Frieden ist möglich, aber Kriminalität wird nie auf 0 % sinken können. Dies sollte ein jedem einleuchten.

[4] Ich will die Argumente für und gegen die Todesstrafe an dieser Stelle nicht groß diskutieren. Ich bin starker Gegner der Todesstrafe, aber hauptsächlich aus einem ganz simplen, einfachen Grund: Fehlurteile. Ich bin nicht bereit ein Rechtssystem zu unterstützen, welches ein Fehlurteil nicht rückgängig machen kann (z.B. durch Schadensersatz) und welches Fehlurteile (und somit den unwiderruflichen Tod von Unschuldigen) als Kollateralschaden akzeptiert.

 

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