Kunst ist schön, alles andere ist keine Kunst!

 

Was macht eigentlich den Begriff Kunst (oder Kunstwerk) aus? Lange, lange hat die Philosophie und die Kunstgemeinschaft versucht, dies zu definieren. Spätestens seit Alexander Gottlieb Baumgarten, der 1750 die Ästhetik als philosophische Disziplin etablierte, wird der Begriff rund um das Schöne, vom Menschengemachte, „die Kunst“ diskutiert, problematisiert, aber einen richtigen Konsens gibt es nicht. Keine Definition von Kunst/Kunstwerk trifft ins Schwarze, es gibt keine allgemein anerkannte Theorie dazu. Und gerade abstrakte, moderne Kunst (relativ unscharfer Begriff, mit dem allgemein die Welle avantgardistischer Kunst seit Anfang des 20. Jahrhunderts bis heute bezeichnet wird) stellt vor allem den Kunstlaien, den Museumsbesucher, den Ottonormalverbraucher vor die Frage: „Ist das eigentlich noch Kunst?!“ Meine schlichte Antwort darauf: Nein, ist es nicht. Damit möchte ich keine Aussage über die Qualität jener Werke (≠ Kunstwerke) treffen, sondern es ist eine Art Wesensbestimmung. Solch moderne Kunst ist oftmals nicht Kunst, sondern eine Philosophie, eine dargestellte Idee, eine politische Aussage, eine Meinungsäußerung, ein veranschaulichtes Gefühl oder einfach nur eine Vergegenständlichung eines inneren Zustands – aber keine Kunst. Warum? Meine These lautet diesbezüglich: Kunst ist schön. Punkt.

 

 

Blickt man einmal auf die Geschichte der Kunst im Allgemeinen, so sieht man sofort, dass Schönheit ein stets bleibendes Merkmal ist. Kunst ist alt – so alt wie die Menschheit selbst. Und seit Anbeginn der Zeit, in welcher Menschen Gegenstände aus rein ästhetischem Grund geformt oder bearbeitet haben, seit jeher war Kunst schön. Und sie stagnierte dadurch nicht! Die verschiedensten Zeitperioden zeugen von Entwicklung. Auch die späte Menschheits- bzw. Kunstgeschichte, vom 16. bis zum 20. Jahrhundert, zeugt von einer steten Entwicklung der Kunst und dennoch dem gemeinsamen Merkmal des Schönen. Impressionismus, Expressionismus, Renaissance, Pointillismus und auch Surrealismus: Alles Strömungen, die in ihren Werken weiterhin zeigen, dass sie schön sind. (NB: Sowohl in Bildender Kunst als auch in der Musik und Literatur) Nur die Moderne bricht mit dieser Tradition: Kunst soll plötzlich auch hässlich oder weder noch sein. Wie soll das funktionieren?

 

Und: Wer ist eigentlich dazu berechtigt, ein Kunstwerk als solches anzuerkennen, es zu werten und zu kritisieren? In den Naturwissenschaften sind es allgemein erst einmal die Wissenschaftler selbst (der Pool der Experten), als auch – bei einer publizierten Studie – die Masse, die etwas als „Humbug“, teils sogar als Plagiat entlarvt… Ähnlich verhält es sich mit der Kunst – und so sollte es auch sein. Sicherlich sind Kunstexperten, welche das Fach, die Kunstgeschichte studiert haben, auf eine gewisse Weise berechtigter, Kunst zu bewerten und sind auch die ersten, die ihre Meinung kundtun (siehe Martin Seel: Eine Ästhetik der Natur, 1991). Doch auch hier ist die Masse berechtigt, sich ein Urteil zu bilden, schließlich wird die Kunst ja auch für den Menschen gemacht.

 

 

Doch… nach welchem Kriterium soll denn noch etwas als Kunst betrachtet werden? Wenn alles potentiell Kunst ist, das sich als solches proklamiert, dann hat die Menge „Kunst“ kein Kriterium mehr. Beispiele wären Happenings, Performances oder Readymades. Hier darf man auch gerne die altbewährten „Künstler“ infrage stellen. Duchamps Fontaine? Christos Verhüllung des Reichstags? Beuys‘ Fett-Ecke? Wenn es ausreicht, ein Objekt oder eine Tat als Kunst zu deklarieren, wenn sie so vergänglich wie der Moment ist, wenn dadurch alles in die Menge „Kunst“ durch Etikettierung aufgenommen werden kann – wie kann ich dann noch von einer bestimmten Menge reden? Eine Menge ohne Kriterium, Bedingung, ohne objektive Eigenschaften ist nichtig. Über eine solche Menge kann nicht gesprochen oder diskutiert werden. Es gibt keine Qualitätsmerkmale, über die man diskutieren könnte. Ist es Kunst? Ist es gut? Keine Ahnung – schließlich ist alles Kunst und gut, was man als solches deklariert.

 

 

Nein – das einzig sinnvolle Kriterium für Kunst ist Schönheit (gilt auch für andere in einem ästhetischen Sinn verwendete Termini wie „einheitlich“, „anmutig“, „erhaben“, „ausgewogen“, „zart“ usw.). Warum? Weil Schönheit eine rein dem Ästhetischen eigene Kategorie ist. Und auch wenn es hier ebenfalls schwierig fällt, diesen Begriff eindeutig zu definieren, so gibt es doch einen Gemeinsinn, ein Gefühl, sowohl von Experten als auch von Laien, welche der Aussage „Das ist schön.“ entspricht. Schönheit kann dadurch vielleicht sogar demokratisch festgestellt, wenn auch nicht bestimmt werden. Denn, auch wenn Schönheit empirisch vielleicht mit einem gewissen Prozentsatz an Korrelation mit subjektiven Empfindungen aufzuzeigen ist, muss Schönheit (um diskutierbar zu sein) eine gewissermaßen objektive Qualität sein. Denn es besteht natürlich immer die Möglichkeit, dass ein Kunstwerk als solches nicht erkannt wird, bzw. dass niemand es schön findet, obwohl es schön ist.

 

 

Abgesehen davon: Was bleibt uns als Kriterium für Kunst außer „Schönheit“ übrig? Meine eigene Erfahrung scheint sich mit den Erfahrungen vieler Besucher sogenannter Museen Moderner Kunst übereinzustimmen: Das kann keine Kunst sein. Wenn ich ein Beispiel rausnehmen soll, so ein aktuelles aus dem MUDAM[1]: „Quiz 2 – Nach einer Idee von Robert Stadler“ (siehe Anhang). Diesem „Kunstwerk“ fehlt selbst die Unterabteilung in ein Genre. Es ist nicht wirklich eine „Installation“, es ist natürlich kein „Gemälde“, kein „Poster“, kein „Happening“. Es wird lediglich als „Ausstellung“ bezeichnet. Und es trägt einen Titel – das ist die Etikettierung, die bei solch abstrakten Werken stets wichtig ist, um es überhaupt noch als Kunst zu erkennen. (NB: Es gibt viele Werke von Künstlern, die unbenannt blieben, aber von sich aus bereits den Kunstcharakter zeigten und als solche zu erkennen waren. So sollte es auch eigentlich sein.)

 

 

Die Qualität des Werkes möchte ich hier außerfrage stellen. Ich kann es selbst nicht bewerten, da mir die Hintergründe nicht bekannt sind. Folgendes findet man als Beschreibung des Kunstwerkes:

 

 

„[Die Künstler] entscheiden, gewisse emblematische Werke von Quiz in Nancy auszuwählen und um diese herum ‚Dinge‘ zu versammeln, deren mutmaßliche Ambivalenz zugleich die seit den 1960er Jahren zu beobachtende Auflösung der Grenze zwischen Kunst und Design, sowie das, angesichts dieses stetigen Trends paradoxe Fortbestehen spezifischer Charakteristika beider Bereiche, hinterfragt. Zwei Bereiche, in denen jeweils eigenständige Dinge und Ideen entstehen, die sich gegenseitig befruchten ohne jemals miteinander zu verschmelzen.“

 

 

Wie komplex und hintergründig das Werk ist, merkt man an dieser Beschreibung. Ich möchte mir deshalb eine Kritik daran nicht anmaßen. Was ich aber kritisieren möchte, ist den Kunstcharakter des Werkes. In diesem Werk steckt weder die physische Leistung eines Kunst-Werkes (Kunst etymologisch von „können“, von einer handwerklichen Fertigkeit) und auch keine Schönheit. Letzteres kann man sowohl anhand des Amateurrezipienten als auch anhand des Kunstkritikers erkennen. Ich frage: Kann sich allen Ernstes jemand vor (oder in?) dieses Werk stellen und behaupten: „Das ist schön.“? Nein, das erscheint unmöglich. Mögliche Aussagen wären wahrscheinlich eher „Die ausgedrückte Idee ist gut.“, „Die Aussage erscheint sehr prägnant dargestellt.“, oder „Die Ausrichtung und Konstellation der Dinge ist treffend.“. Das Kriterium der Schönheit ist weg!

 

 

Kunst muss nicht zuhause aufhängbar sein, Kunst muss nicht jedermann gefallen, aber wenn DAS ästhetische Prädikat schlechthin, „schön“, von niemandem mehr benutzt wird, um das Werk zu beschreiben, so muss man sich einfach eingestehen, dass es keine Kunst ist.

 

 

Das gilt nicht nur für Readymades, Installationen oder Happenings. Das gilt z.B. auch für Dinge wie Romane. Romane sind nicht schön. Sie sind spannend, interessant, gutgeschrieben. Oder Karikaturen. Karikaturen sind nicht schön. Sie sind gut gelungen, treffend, witzig, sarkastisch. Oder Dokumentationen. Dokus sind nicht schön. Sie sind informativ, professionell, entspannend, politisch wichtig. Ein Happening mag eventuell nichts anderes sein als ein extern verlagertes Gefühl eines Menschen. Ein Readymade ist eine Art philosophischer Essay, in welchem die Definition von Kunst infrage gestellt wird, in welcher die Grenzen ausgetestet werden. Aber ein Kunstwerk? Nein – denn niemand würde von einem auf den Kopf gedrehten Pissoir behaupten, es sei schön.

 

 

Fazit: Wenn „moderne Kunst“ (oder „die Kunst der Moderne“) keine Kunst ist, sondern in eine andere Kategorie passt (nicht alles vom Menschen Geschaffene ist Kunst), so würde ich ganz einfach vorschlagen, die Museen von diesen Werken zu befreien. Dies würde zu einer Besinnung auf alte Werte führen und würde die Masse auch wieder für Kunst begeistern können. Die Museen moderner Kunst gehören allenfalls umbenannt. Wie wäre es mit „Ausstellung vergegenständlichter, abstrakter oder neoexpressionistischer Thesen“? Kurz: AVANT und in der Mehrzahl „AVANTs“? Dies würde sowohl den leicht avantgardistischen Zug tragen und ganz klar aussagen, was es ist. Es wäre keine Ausstellung von Kunstwerken mehr, sondern gleiche eher einer Ansammlung philosophischer Ideen. Und es müsste auch kein Kunstliebhaber den ausgestellten Thesen angewidert den Rücken zukehren, da es sich ja schließlich nur um Ideen, Diskussionen und keine abgeschlossenen Kunstwerke handelt.

 

 

Abwertende Phrasen wie „Ist das Kunst oder kann das weg?“, oder „Also sowas hätte ich auch gekonnt“ entspringen nicht einem ungebildeten Geist, sondern sind Ausdruck einer ganz natürlichen Trotzreaktion auf das Gesehene. Wenn die Schönheit in Werken nicht mehr vorhanden ist, ist der Kunstcharakter ebenfalls weg. Eine abstrakte Installation gehört in eine philosophische Diskussion, ein prozessuales Kunstwerk gehört vielleicht in eine akademische Debatte, aber nicht in ein Museum und nicht in ein Kunstfeuilleton. Wenn sich niemand findet, der sich vor das Werk stellt und behaupten kann „Das ist schön.“, ist es kein Kunstwerk.

 

 



[1] Das Musée d’Art Moderne Grand-Duc Jean, kurz Mudam, ist Luxemburgs Museum für moderne Kunst.

 


Anhang

 

Vues de l’exposition Quiz 2 - sur une idée de Robert Stadler, 20.02.2016 - 22.05.2016, Mudam Luxembourg © Photo : Eric Chenal / Mudam Luxembourg - See more at: http://www.mudam.lu/de/expositions/details/exposition/quizz/#sthash.1ibsbIUC.dpuf

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